Mein Reise durch die Niederungen des deutschen Tischtennis hat mich schon an obskure Orte gebracht. Ich denke da an dasAuswärtsspiel in Oberhausen oder das Spiel in Bissingheim, dem Stadtteil mit direkter Nachbarschaft zu unserem. Wir spielen in Großenbaum für die TTS Duisburg. Am vergangenen Spieltag dann begaben wir uns auf Zeitreise. Auf Zeitreise in Walsum, einem weiteren Stadtteil Duisburgs.
Es ist unter der Woche. Unsere Tabellensituation ist nicht komfortabel, aber auch nicht schlecht. Mit den Sportfreunden Walsum 09 geht es heute gegen einen direkten Ligakonkurrenten. Mit einem Sieg ziehen wir knapp an ihnen vorbei und halten uns die Möglichkeit auf weitere Vorstöße in den oberen Tabellenbereich offen.
Bei Betreten der Heiligen Hallen zu Walsum, kommen mir schnell die Bilder von der Museumshalle in Oberhausen, die wir zuletzt besichtigen durften in den Kopf. Holzbänke aus Zeiten um das Geburtsjahr von Jörg Roßkopf. In der Kabine treffen wir auf eine weitere Gastmannschaft die heute gegen Walsum `ran darf: TTF Sterkrade. Aus Oberhausen also. Ich bekomme flashbacks.
Ich ziehe meine ein wenig in die Jahre gekommenen Adidas „Tanglin“ an. Sportschuhe entwickelt für Tischtennis. Die Jungs von TTF Sterkrade ziehen sich auch um. Da packt einer seine Schuhe aus.
„Das sind aber auch Schuhe!“, sagt einer mit modernen Hightech-Schlappen.
„Die halten super!“, sagt der, der gerade ausgepackt hat: „Die habe ich seit 20 Jahren! Und da ist nix dran. Nicht so wie diese neuen die nach 2 Jahren kaputt gehen.“
„Mein Schläger, ne, der ist noch älter wie dein Schuh!“, sagt ein dritter von Sterkrade: „Mein Holz ist von 1976! Stiga. Super Ding.“
Der Schläger ist also älter als Timo Boll. Und er trägt seine Schuhe schon seit dem ich das Licht der Welt erblickte.
Auf dem Weg ins Herz dieser altehrwürdigen Spielstätte erhasche ich ein Blick in den Sanitätsraum und hoffe mich heute nicht zu verletzen. Der Erste-Hilfe-Kasten ist sicher auch so alt wie Timo Boll. Ich falle bei Eintritt beinahe in die Spielbox, in der sich gerade erst warm gespielt wird. Auch das Innerste dieser Halle hat Modernisierungen nur aufgrund neuer Brandschutzbestimmungen gesehen. Es gibt ein schniekes, neues Fluchtschild mit Gitter.
Die Sportfreunde Walsum 09 begrüßen uns wie wir auf dieser Zeitreise nur begrüßt werden können: „Glück Auf!“. Nostalgie lässt auch grüßen.
Zum ersten Mal in dieser Saison spielt eine Frau in einem Männer-Team mit. Das ist in diesen Niederungen erlaubt. Die Doppel beginnen. Unser Doppel führt im ersten Satz 3:1, da bricht es aus ihr raus:
„Jupp, beweg’ dich doch mal!“
„Scheisse“, murmelt Jupp vor sich hin. Jupp ist einer der Dienstältesten hier bei Walsum 09. Nur sein Bruder sei noch länger im Verein, erfahre ich später. Aber auch sein Bruder hat diesen Verein aber wohl nicht mit gegründet – im Jahr 1909.
Wir gewinnen das erste Mal in der laufenden Saison alle drei Doppel. Ein Mega-Start in dieses wichtige Duell gegen den Ligakonkurrenten. Dann steht mein Match an. Als mein Gegner an den Tisch trabt, sage ich mir: Den kennst du schon aus dem Doppel. Er macht deutlich, dass die Walsumer nicht nur Sportfreunde sind sondern auch Freunde der überregional bekannten Duisburger Braukunst. Da wo der Magen und andere Organe liegen sollten, liegt bei ihm ein Fass.
Den ersten Satz gewinne ich; beim zweiten weiss ich auch nicht wie mir geschieht; den dritten gewinne ich wieder hoch und meine den Sack jetzt zu machen zu können, ja zu müssen.
So wie etliche Vorhand-Schläge, vergebe ich den vierten Satz aber doch noch. 2:2. Der Entscheidungssatz steht an. Ich muss kämpfen und kann mir zum Satzende hin einen kleinen Vorsprung verschaffen: 10:7. Drei Satzbälle. Ich vergebe den ersten. Den zweiten. Aufschlag, Ballwechsel. Dann kommt der lange Ball in meine Rückhand und es scheint wie in dieser Halle zuzugehen: Die Zeit bleibt stehen. Ich sehe den Ball. Perfekte Höhe. Lange Rückhand. Ich hole aus, treffe den Ball wie im Traum. Diagonal auf die Grundlinie. Die Faust rast in die Höhe. 11:9. Den Ball triffst du vielleicht einmal im Jahr. Aber hier und jetzt musste er sein. Mein Sieg baut die Führung meiner Mannschaft weiter aus.
Wir erlauben uns noch zwei Punkte abzugeben und sind über die Höhe selbst ein wenig überrascht. Wir haben den Ligakonkurrenten mit 9:3 vom Tisch gefegt und gehen duschen.
Derartige Exemplare sind uns bei Auswärtsspielen allerdings auch noch nicht untergekommen. Sandgelbe, alte Einzelkabinen. Die Männer aus Sterkrade haben ihr Spiel auch beendet. 12 Männer. Zwei Duschkabinen. Nur die Männer aus Walsum machen es richtig: Sie genießen Duisburger Braukunst.
F.G.