Stadtderby in der 3.Kreisklasse
Amateursport. In den untersten Ligen des Tischtennis fahren jede Woche tausende SpielerInnen zum Auswärtsspiel in ungewisse Spielstätten. Zum Beispiel zum ETuS Duisburg-Bissingheim.
Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied Felix
Es ist Stadtderby an diesem Freitag Abend. Ich packe meine Sporttasche und setze mich in den Bus. Meine Mannschaft, die dritte vom TTS Duisburg, trifft sich vor der gegnerischen Halle. Im Nachbarviertel. Während ich aus dem Fenster schaue läuft über mein iPhone zufällig Sondaschule: „Keiner kann besser nix als ich“, singen sie. Wie bezeichnend. Ich fahre zum Stadtderby in der 3. Kreisklasse, der untersten Spielklasse des deutschen Tischtennis. Ich bin auf dem Weg nach Duisburg-Bissingheim.
An der Endstation steige ich aus. Bissingheim Dorfplatz. Tiefster Duisburger Süden. Die Haltestelle ist direkt vor der Halle, links daneben eine Pizzeria und das „Gasthaus Seitenhorst“. Seitenhorst. Na gut. Über den Schulhof der Grundschule gehe ich in die Halle und hinter dem Eingang rechts in die Umkleidekabine, die ich der fehlenden Buchstaben wegen als jene für Männer identifiziere.
„Hi.“
„Hey. Gegnerumkleide ist drüben,“ werde ich angefahren.
„Okay…“.
„Bei den Mädels.“
„….“.
Puh. Hier ist aber schon ordentlich was in der Luft. Südderby. Vor der Halle wird mein Mannschaftskollege von einem Hund gebissen. Kein Witz. Bissingheim scheint gefährliches Terrain. In keinem Viertel Duisburgs leben so viele Hunde wie in Bissingheim. Auch das ist kein Witz.
Die Halle ist klein, verdammt klein. Vier Tische sind aufgebaut. Schon lange nicht mehr so kleine Spielboxen gesehen. Ein anderer Mannschaftskollege kommt rein. Ganz schön eng hier, lacht er. Ja, sag ich. In der Tat. Und kalt. Draußen sind es 15 Grad sagt mir mein iPhone. Hier drinnen sind es definitiv einige Grad kühler. Keine Fenster. Holzboden.
Es ist kalt, die Boxen sind klein und wir spielen uns überkreuz ein. Obwohl wir alle sehr frühzeitig angereist sind – rund 4 Kilometer sind es zu unserer Halle – werde ich nicht warm. War ja klar. Ich hasse es.
Dann schlägt es 19:30 Uhr. Die Mannschaften stellen sich auf zum Südderby. Unser Kapitän findet bei der Begrüßung die einzig richtigen Worte für dieses Duell: „Wir bedanken uns für die freundliche Aufnahme hier im Hexenkessel zu Bissingheim!“ Uns sind drei frenetische Anhänger des TTS Duisburg nach Bissingheim gefolgt. Vielen Dank für euren Support! Insgesamt zähle ich ca. 10 Zuschauende.
Der Gegner ist die Drittvertretung des ETuS Bissingheim. Wie mir schon bei der Begrüßung auffällt eine junge Mannschaft. Das hat durchaus Seltenheitswert in diesen Niederrungen des Tischtennis und zeigt sich direkt in den Doppeln: Meine beiden Kollegen Michael und Idriz treffen auf ein junges, dynamisches Doppel, das jahrelang Systemtraining genießen durfte wie man sieht und technisch sehr sauber spielt. Keine Noppen, kein Anti ist im Spiel. Dementsprechend offensiv geht es hier zur Sache. Meine Kollegen müssen aus dem vollen Schöpfen um gegen die Jugendriege zu bestehen. So geht es in den fünften Satz eines ansehnlichen Offensiv-Doppels. Und das hat tatsächlich Seltenheitswert in der 3. Kreisklasse! Am Ende mag die Erfahrung den Ausschlag gegeben haben. Das Doppel geht an uns. Das einzige der drei gespielten Doppel. Anschließend gehen wir nur mit einem 1:1 aus dem oberen Paarkreuz raus und ich muss jetzt ran. Mein Gegner ist augenscheinlich der erfahrenste bei ETuS Bissingheim 3. Ich komme gut in den ersten Satz, verliere ihn aber dennoch knapp. Ein kleines Coaching. Hier und da muss ich mehr variieren. Erneut verliere ich auch Satz zwei nur knapp. 0:2. Und am Tisch nebenan schmilzt gerade eine 2:0 Satzführung für uns. In Satz drei mühe ich mich erneut ab. Gehe in Führung – und gebe sie wieder ab. Schon wieder eine ganz enge Kiste zum Satzende. Ich habe Scheisse am Schläger. Ich bin mir sicher, Sie kennen das.
Ein wenig verzweifelt über die viel zu deutliche 0:3-Niederlage stehe ich an der Bande. 11:9. 11:8. 11:9. In allen Sätzen bist du dran und trotzdem gewinnst du nicht einen einzigen. Und meinen Kollegen, unsern Dreier, verlassen die Nerven. Die 2:0-Führung ist weg. Fünfter Satz, und dazu noch hoch in Rückstand. Der Tischtennis-Gott ist heute nicht auf unserer Seite. Das mittlere Paarkreuz geht komplett verloren. Scheisse. Kopfschütteln. Und das ausgerechnet hier. Heute beim Südderby. Verdammte Scheisse.
Schon zuvor war mir der ältere Herr mit Schimanski-Parker aufgefallen, der die Jungs von ETuS anspornte. Koy ist 72 Jahre alt. Wäre er momentan nicht gesundheitlich angeschlagen, würde er hier in der 3. Kreisklasse mitspielen, erfahre ich von ihm. An Brett 4. Wie ich. Wir gucken zusammen auf die laufenden Spiele und unterhalten uns mit einigen Unterbrechungen:
„Oooaaarr!!“
„Komm jetzt Junge!!“
„Du musst dich konzentrieren! Konzentriiiiier’ dich!!!!!!!!!“
„Jawohl! Genau so!!“
Das hier ist kein Kleckerkram. Das ist Derby. Das ist 3.Kreisklasse. Es geht um alles.
ETuS steht für Eisenbahner-Turn- und Sportverein lerne ich von Koy. Koy spielt seit 60 Jahren Tischtennis. Seit 50 Jahren spielt er bei ETuS Bissingheim 1925 e.V. Ob er damit derjenige sei, der bei ETuS am längsten spiele, frage ich. Ja, niemand hier spiele sonst schon seit über 50 Jahren für diesen Verein – ohne einen einzigen Wechsel. Bissingheim war eine Arbeitersiedlung für Eisenbahner, die im nahegelegenen Ausbesserungswerk schafften, das mittlerweile stillgelegt ist. Die Geschichte erklärt vermutlich auch die Zahl der Hunde, denke ich mir lautlos und sehe wie mein vom Hund gebissener Kollege und Doppelpartner ebenfalls sein Einzel verliert.
Unser Dreier gewinnt zwar nach dem verkorksten 2:3 wenigstens sein zweites Einzel, doch meins verläuft ähnlich wie das erste. Ich gerate wieder einmal in einen 0:2-Satzrückstand und kann im dritten erstmals einen Satzball erkämpfen. 10:9.
Ich verschiesse die Chance kläglich mit der Vorhand.
Und verliere den Satz natürlich noch mit 10:12. Das ist der neunte Punkt für die Eisenbahner. Wir können einpacken. Vier Fünf-Satz-Spiele hat es heute gegeben. Drei davon haben wir verloren. Die 9:4-Niederlage halten wir geschlossen für zu hoch. Es gibt so Tage. Aber heute haben wir auch noch das Derby verloren.
Auf dem Weg zur unserer Wagen-Kolonne spielen wir mit dem Gedanken das Bier vom Seitenhorst zu testen. Aus Rücksicht auf einen Kollegen, der morgen früh raus muss entscheiden wir uns dagegen.
Ankunft zuhause. Die Muskeln schmerzen mal wieder ein wenig. Komisch. Egal. Jetzt aber noch schnell an der Bude vorbei. Fump! Und Sondaschule auf die Ohren. „Ich kann es schaffen“.
F.G.