Auswärtsfahrten sind immer was feines. Wir kennen oft nur die Adresse des Spiellokals und haben keine Ahnung was uns erwartet. Was ist das wohl wieder für eine Halle? Wie viele Duschen gibt es? Und fließt da warmes Wasser?
An diesem Samstag Abend bewegt sich unser Autokonvoi nach Duisburg-Neudorf zum Tischtennisspiel in der 3. Kreisklasse gegen die Zweitvertretung des DSC Kaiserberg. Das wovor wir unseren Korso zum Stehen bringen ist nichts geringeres als ein Tischtennis-Tempel. Ich kann es gar nicht fassen. Aus dem Labyrinth von Gängen, Treppen, Umkleidekabinen, unzähligen Sanitärräumen und was weiß ich nicht alles für Räume, finden wir erst durch die Hilfe eines einheimischen Fährtenlesers den Weg ins Herz der Arena – ja, Arena, denn es gibt hier eine Tribüne beim DSC Kaiserberg. Eine schicke obendrein. Das alles ist zunächst einmal schwer zu verarbeiten. Es ist beeindruckend, sehr erfreulich. Doch es ist das Gegenteil dessen was uns erfahrungsgemäß erwartet. Und dieser DSC Kaiserberg spielt mit beiden existierenden Herrenmannschaften hier in der 3.Kreisklasse, der untersten Liga des deutschen Tischtennis. Das ist doch alles ein wenig verwirrend.
Mit den neuen blauen Tischen in dieser modernen, riesigen Arena inklusive einer Besuchertribüne und digitaler Zeit- und Spielstandanzeige fühle ich mich gleich besser, professioneller, irgendwie höherklassiger. Als träte ich in wenigen Minuten zum Bundesligaspiel an.
Genau dort ist dieser DSC Kaiserberg, der 2016 in der 3.Kreisklasse spielt allerdings tatsächlich mal angetreten. Ja, der DSC Kaiserberg spielte einst in der Bundesliga. Gegen diesen DSC Kaiserberg darf ich mich heute messen.
Mein Doppel ist allerdings zum Abgewöhnen. Vier Spieler, alle vier mit Material inklusive mir. Mein Doppelpartener und ich gehen unter, ja wir gehen ein. Ich nehme es mit viel Humor und fokussiere mich schon auf mein erstes Einzel während meine Mitspieler am Nebentisch ihre 2:0 Satzführung noch verspielen. Nach vollendetem Fehlstart und beim Stand von 4:2 nach Punkten für die Tempel-Ritter trete ich mit einem ziemlich unspektakulärem, aber weitgehend ungefährdetem 3:0 eine Sieges-Lawine los. Wir geben bis zum Schluss nur noch ein einziges Einzel, zumal im fünften Satz mit 9:11, an die Gäste ab.
Während wir unaufgeregt und überlegt – was in diesen Gefilden nicht unbedingt normal ist – , gewissermaßen stoisch ein Sieg nach dem anderen vom Fließband nehmen, unterhalte ich mich mit Horst über den DSC Kaiserberg. Horst ist seit über 60 Jahren Vereinsmitglied.
„1953“, erzählt mir Horst, „da waren wir einsame Spitze in Oberliga der Herren. Die Bundesliga gab es da ja noch nicht.“ Das war nur sechs Jahre nach Vereinsgründung. „Da hat man noch im Keller der ehemaligen Spielstätte gespielt. Das durfte man da noch!“, lacht er. Die alte Spielstätte musste dem geplanten Duisburger Mercatorquatier weichen.
Doch nicht nur die Männer haben hier in Kaiserberg zu den besten deutschen Tischtennisspielern der Zeit gehört, auch die Frauen gewannen in den 1950er Jahren die ersten Titel.
Das hat gewirkt. Dem Verein lief nicht nur Nachwuchs zu sondern auch Geld. Ein windiger Geschäftsmann, Wilfried Wegmann, blätterte große Teile seines Vermögens für den Verein hin und ließ seine exzellenten Kontakte spielen, was noch mehr Geld und noch mehr Sponsoren zum DSC Kaiserberg lockte. Später steigt gar der Tischtennis-Großausrüster „Butterfly“ als Hauptsponsor ein, was zur Umbenennung des Vereins in DSC Butterfly-Kaiserberg führt. In den 1960er Jahren startet insbesondere die herausragende Frauen-Mannschaft des DSC durch und wird zwischen 1962 und 1978 nur einmal nicht Deutsche Meisterin. 1980 gelingt dem DSC Kaiserberg in der Geschichte des deutschen Frauen-Tischtennis der erste Wechsel einer chinesischen Tischtennisspielerin nach Deutschland. Ein Jahr später gewinnt diese neu aufgestellte Frauen-Mannschaft den ETTU-Cup, den Europapokal im Tischtennis. Zum dritten Mal. Die Spielerinnen wie Yang Ying und Agnes Simon, deren Ehemann Béla Simon die europäische Niederlassung von „Butterfly“ aufbaute, werden Welt- und Europameisterinnen.
1988 gewinnt die Mannschaft die letzte Deutsche Meisterschaft. Dann beginnt der Niedergang. Mit dem Abstieg 1993 ziehen sich die Sponsoren zurück. Der Verein kollabiert. 2001 wird die Damenabteilung des DSC Kaiserberg dicht gemacht. Es gibt keine Jugend mehr, kaum Herren.
„Um das Jahr 2000 stand ich alleine in der Halle“, sagt Horst.
„Woran lag das?“, frage ich.
„So etwas, so ein Erfolg, verläuft in Wellen. Solche Zeiten gehen nunmal zu Ende.“
„Warum spielen die einzigen beiden Herrenmannschaften nur in der 3.Kreisklasse?“
„Wir sind zu alt. Aber ich habe wieder Hoffnung. Wir haben momentan 28 Kinder und Jugendliche im Verein,“ freut er sich.
Horst Scholl ist heute Vereinsvorsitzender. Das „Butterfly“-Logo prangt nur noch auf ein paar Banden zur Spielboxbegrenzung. Aber beim DSC Kaiserberg wird noch Tischtennis gespielt.
Noch.
Immer noch.
F.G.